Seine Präsidentschaft ist gerade
mal vier Tage alt, als Donald Trump umgeben von seinem Vizepräsidenten und
sechs Beratern die Global Gag Rule gestrichen hat. In einem präsidialen Dekret
strich er staatliche Zuschüsse für diejenigen Organisationen, die im Ausland
Abtreibungen anbieten: Sieben feixende Männer stehen um seinen Schreibtisch,
während er die Finanzierung und Unterstützung bei Abtreibungen und Beratung für
Frauen kippt. Der Akt des Streichens und Wiedereinführens der Global Gag Rule
per Präsidialdekret ist nahezu traditioneller Bestandteil des Wechsels von
demokratischem zu republikanischem Amtsinhaber und damit zwar selbstverständlich
zu skandalisieren, aber nicht sonderlich überraschend. Dennoch macht es vor
allem eines sichtbar: Das Leben von Millionen Frauen liegt in den Händen der
Prekarität, ihre Absicherung und ihre Würde scheinen verhandelbar. Sie sind
schlichtweg ausgeliefert.
Das Patriarchat hat sich gewandelt
– natürlich hat es das, die Verpflechtungen mit dem Kapitalismus und seinen
Verwertungslogiken liegen auf der Hand. Durch die Errungenschaften der
bürgerlichen Gesellschaft tritt das Patriarchat weniger brachial auf, jedoch
sind seine Existenz und die Auswirkungen misogyner und ignoranter Politiken
stetig und zeichnen sich vor allem durch die prekären Lebensrealitäten vieler
Frauen und LGBTI* aus. Die Einbeziehung feministischer Analysen ist
unumgänglich – und das immer und immer wieder betonen zu müssen ermüdend.
Feminismus ist eine gesellschaftliche Notwendigkeit und das Erwirken
emanzipatorischer Veränderung ohne Feminismus als wichtiges Analysemoment eine
Unmöglichkeit. Die Situation von Frauen ist eben kein Kollateralschaden,
sondern sie gibt Auskunft über die Verfasstheit einer Gesellschaft.
Nichts hat mich in meiner frühen
Politisierung so sehr geprägt wie der Moment, in dem ich – endlich! – gelernt
habe, dass das, was mir passiert, was in dieser Gesellschaft stets reproduziert
wird, Namen und Bezeichnungen hat. Kaum eine andere Forderung hat sich stetig
so unvollendet angefühlt, kein Mantra war ermüdender und trotzdem so essentiell
für mein Sein und mein Denken und hat sich so sehr durch jede Auseinandersetzung
und jedes Auseinandersetzen gezogen wie die feministische Grundüberzeugung, die
sowohl Grundlage jeder Gesellschaftsanalyse und –kritik sein muss, als auch den
hier verschriftlichten Überlegungen zugrunde liegt.
Doch gerade in Anbetracht der Notwendigkeit
der Artikulation feministischer Interessen – und damit meine ich bewusst
„feministische Interessen“ und nicht „Interessen von Feminist*innen“ – ist es
umso unabdingbarer, Partei für einen Feminismus zu ergreifen, der es wert ist
und der überhaupt die theoretischen Fundamente zu radikaler Kritik in sich
trägt: Einer Kritik der Verhältnisse und jedweder patriarchaler Unterdrückung –
eben einer Kritik, die Feminismus ausmacht. Dass den derzeitigen Entwicklungen
feministischer Theorie, die selten mehr als die Postmoderne als eigenen Maßstab
kennen und jede abweichende Meinung mit einer Selbstverständlichkeit
wegdekonstruieren, kein Moment der Kritik mehr innewohnt, sei zum Anlass
genommen, über einen Feminismus nachzudenken und zu schreiben, der es wert ist,
gerade weil er Kritik annimmt und zur Selbstkritik auffordert. Damit meine ich
niemals, die persönliche Erfahrung auszuklammern und als irrelevant
wegzuschieben. Aber sie ist nur ein Teil dessen, was gesellschaftliche Realität
ist: Sie zu erzählen kann ein radikaler Akt sein, aber sie kann nicht ohne
Analyse stehen bleiben, wenn es darum geht, feministische Gesellschaftskritik
äußern zu wollen.
Zugleich ist dieser Text ein
Versuch, das letzte Jahr zumindest bruchstückartig Revue passieren zu lassen,
die Geschehnisse seit dem Barcamp Frauen 2016 und alledem, was damit einherging, zu
reflektieren und Überlegungen niederzuschreiben.
Vor genau einem Jahr kündigte ich
lediglich an, bei dem Barcamp Frauen, das seit einigen Jahren in Berlin
stattfindet und dort ein Forum für die barrierearme Diskussion feministischer
Themen bietet, über Antisemitismus unter Feminist*innen zu sprechen und mich
dabei – unter anderem – auf feministische „Ikonen“ wie Laurie Penny und Angela
Davis zu beziehen. Und trotzdem war dieser klägliche Zweizeiler meiner
Vorankündigung Auslöser für eine Debatte, die nicht wie andere
Auseinandersetzungen nach wenigen Tagen abebbte, sondern sich vielmehr wie der
Beginn eines erbitterten Kampfes um jeden Zentimeter Raum anfühlte.
Mittlerweile weiß ich, dass es nur Symptom dessen war, was schwelte und die
Gräben auch immer noch weiter aufreißen lässt. Denn das, was sich aktuell
zeigt, ist nicht der Feminismus, der tatsächlich das gute Leben für alle
fordert, es ist vielmehr eine Ausgeburt des postmodernen Ungewissen, das
Gesellschaftsanalyse durch reine Subjektivität zu ersetzen versucht. Marco
Ebert (einer der Autoren in "Beissreflexe") formulierte
es letztens in einem Vortrag „Kritik an der Kritik: Kulturelle Aneignung“ als
Unterschied zwischen Geschichte und Geschichten, zwischen der Wahrheit und
Wahrheiten. Die Subjektivität, die sich momentan rasend unter
queerfeministischen Akteur*innen ausbreitet, schafft höchstens Geschichten,
erzählt aber nicht die tatsächliche Geschichte von Herrschaft. Sie kann
Wahrheiten schaffen, nähert sich damit aber höchstens der Wahrheit an, die
durch Herrschaftsverhältnisse geschaffen ist.
Die Aktualität des Ganzen bietet
täglich neue Beispiele. Feministische Allianzen formieren sich unter dem qua
Theorie undefinierten Begriff „queer“ und unterstellen sich euphorisch den
patriarchalen Gepflogenheiten des politischen Islam, nehmen Verschleierung als
Symbol der Emanzipation auf sich und verlassen begeistert jeden politischen Weg
radikaler Forderungen, sondern begeben sich stattdessen in die vagen Gefilde
gefühlter Wahrheiten, in denen nicht mehr zählt, was formuliert wird, sondern
nur noch, wer etwas formuliert. Und selbst das hat der postmoderne Feminismus
spätestens an dem Punkt, an dem Schwarze Aktivist*innen mit anderer Meinung als Token bezeichnet wurden, hinter sich
gelassen. Stattdessen biegt er sich alles so zurecht, bis ihre Wahrheitsfindung
nur noch dem eigenen autoritären Charakter unterworfen ist. Neuester Höhepunkt
war nicht zuletzt die Bezeichnung des Frauen*kampftages als „Fotzenfest“ und
die Beschwerde darüber, dass zu viele Vulven abgebildet gewesen seien. Dass es
dabei nicht bleiben dürfte, liegt auf der Hand.
Mit diesem Sammelbegriff „queer“,
unter dem alle qua Selbstdefinition willkommen seien, im Rücken bilden sich
seit einigen Jahren Allianzen, deren einziger Grundkonsens lediglich
(Queer-)Feminismus ist und dessen einziges Anliegen es ist, mehr Sichtbarkeit
und Reichweite für die Anliegen der Partizipierenden zu erlangen. Es ist ein
Auseinanderklaffen von Theorie und Praxis zu beobachten, das eine Kritik sowohl
der queerfeministischen Theorie-„Ikonen“ als auch des Aktivismus, der mit einem
Gestus der moralischen Erhabenheit daherkommt, notwendig macht. Zwar finden
sich im Queertheoretischen bereits Ansätze, vor allem von Butler und Puar
formuliert, die die Kämpfe entrechteter Minoritäten untrennbar verknüpft sehen,
doch glaube ich nicht, dass Schilder mit der Aufschrift „Free birth control and Palestine“
tatsächlich aus einem Wissen um Theorie resultieren.
Der Definition dessen folgend, was queer nun also umfassen soll,
partizipieren nicht nur die, die betroffen sind, sondern auch diejenigen, die
sich betroffen fühlen.
Generell ist zu sagen, dass eine Politik, die auf Betroffenheiten und der subjektiven
Erzählung basieren, zumeist ihre analytische Schlagkraft verliert, wird ihr
doch eine klare Priorisierung dessen zuteil, wer etwas sagt, und nicht der
Frage, was gesagt wird. Und unter jener Maxime wurde als Reaktion auf meine
vorgetragenen Gedanken beim Barcamp vergangenen Jahres in erster Linie
kritisiert, dass eine weiße cis-Frau referierte, die dafür nicht qualifiziert
sei, anstatt hauptsächlich zu diskutieren, was Inhalt meines Vortrags war – das
passiert zwar auch und soll hier auch Erwähnung finden, war jedoch nicht der
primäre Umgang mit meiner Kritik. Höhepunkt war das inständige Drängen auf die
Offenlegung ob meiner Religionszugehörigkeit, als sei nur eine Jüdin dazu
befugt, eine Kritik des Antisemitismus zu formulieren oder eine nach eigener
Bezeichnung „Halbjüdin“ (Laurie Penny) zu kritisieren.Veranstaltungen werden
unter der vorgehaltenen Maxime gestört, man wolle diskutieren, während jedoch
jegliche Diskussion verhindert wird, indem Sprechverbote auferlegt und
Sprecher*innen mit anderer Meinung aufgrund ihnen zugedichteter Eigenschaften
(„hetero“, „männlich“, „weiß“) denunziert werden, als sei es gängige Praxis
emanzipatorischer Politik, jeder Äußerung die eigene Identität und ihre
Charakteristika voranzustellen und als sei es legitimes Vorgehen, Outings zu
erzeugen und zu erzwingen und als sei das Sprechen über wissenschaftliche
Erkenntnis an sich das Problem und nicht die Tatsache, dass
Ungleichwertigkeitsideologien aktuell so virulent sind.
Das Interesse an Vorträgen, das
sich in den darauffolgenden Monaten zeigte, mich an 30 Orte brachte und welches
in verschiedenen Publikationen mündete, zeigte mir vor allem, dass die Kritik
relevant war. Sie wurde unterschiedlich aufgefasst, teils dennoch immer wieder
hinter meine Sprecherinnenposition zurückgedrängt, aber: Sie stieß auf
Interesse, auf offene Ohren, auf neue Gedanken, Widersprüche und die
Möglichkeit der Weiterentwicklung. Schnell wurde sichtbar, dass die Probleme
tiefer liegen und Antisemitismus ein elementares, aber bei Weitem nicht das
einzige ist. Nahezu schon unfähig, mit Kritik umzugehen, zeigten sich enorme
Abwehrmechanismen in der Auseinandersetzung. Als Flora Eder aus Wien und ich
bei der Veranstaltung „Zwischen den Stühlen. Gegen
Antisemitismus und für Feminismus: Zu einem schwierigen Verhältnis in Theorie
und Szene-Praxis.“ auftraten
und uns zu Antisemitismus unter Feminist*innen und der Ablehnung von Feminismus
in Teilen der israelsolidarischen bzw. antideutschen Szene äußerten, stand in
der anschließenden Diskussion einzig und allein im Raum, ob wir feministisch
genug seien, um über Feminismus zu sprechen.
Der Titel der Veranstaltung
beschreibt eigentlich sehr zutreffend, wo ich mich befinde: Zwischen den
Stühlen. Mit vielen Entwicklungen des Feminismus der Gegenwart nicht
einverstanden, in den Theoriegebäuden der Ideologiekritik und der
materialistischen Kritik der Zustände mehr und mehr zuhause, aber dennoch an
anderen Punkten ganz und gar nicht einverstanden mit dem oft vorherrschenden
Habitus in der israelsolidarischen Szene (dazu sei an dieser Stelle vor allem
Floras Anteil an unserem Vortrag empfohlen, hier nachzuhören).
Es ist ein ständiger Kampf an allen Fronten, der mich regelmäßig an die Grenzen
meiner Kräfte bringt. Es hilft zu wissen, dass ich nicht alleine bin – und auch
das ist eine Erkenntnis des letzten Jahres. Es ist zermürbend, jeder Äußerung
voranzustellen, dass die geäußerte Kritik von innen kommt, aus jahrelangen
feministischen Kämpfen resultiert und nicht von außen aufgedrängt wird, sondern
vielmehr einen Prozess anstoßen und begleiten
soll, der schon an der Hürde scheitert, den Sinn von Kritik zu begreifen.
Es bleibt nur zu hoffen, dass die
gesellschaftliche und vor allem die unter den Prämissen des Feminismus
agitierende Linke es schafft, sich auf den wesentlichen Kern ihrer Politik zu
besinnen: Auf eine Gesellschaftskritik, die den Fall des Patriarchats anstrebt,
die in Solidarität mit allen Frauen und LGBTI* steht, die Widersprüche
aushalten kann, die gegen ihre Unterdrückung kämpfen, die diese skandalisiert
und die das gute Leben für alle zum Ziel hat.